Die Sage von der Entstehung des Stiftes Kremsmünster
Vor etwa 1200 Jahren gehörte unser Land dem Bayernherzog Tassilo. In jener Zeit gab es noch keine großen Orte. Das Land war von unendlichen Wäldern bedeckt. Nur da und dort stand auf einem Berg eine feste Burg, in deren Schutz sich die Bauern angesiedelt hatten. Das Land war noch nicht gerodet, es gab keine großen Felder und wenig gute Wiesen. Die Menschen lebten hauptsächlich von der Jagd und vom Fischfang.
Herzog Tassilo zog mit seinem Gefolge oft durch sein Herzogtum, um Land und Volk kennenzulernen. Er streifte auch durch die tiefen Wälder und erfreute sich an der Jagd. Damals hausten hier noch Wölfe, Bären und mächtige Eber. Am meisten liebten Tassilo und seine Leute die Sauhatz, weil sie gefährlich war und viel Mut und Kraft erforderte.
Auch Gunther, der Sohn des Herzogs, war ein begeisterter Jäger und begleitete oft seinen Vater auf die Jagd. Einmal entdeckte Gunther auf dem Ritt durch die Wälder die Spur eines riesigen Ebers. Als Herzog Tassilo mit seinem Gefolge Rast hielt, bat Gunther seinen Vater um Erlaubnis, den mächtigen Eber verfolgen zu dürfen.
Mit einigen Jagdgefährten brach er sogleich auf. Gespannt folgten sie der Fährte. Gunther wollte aber den Eber ganz allein erlegen und ließ sein Gefolge zurück. Bald stand er dem gewaltigen Tier gegenüber. Der Eber konnte nicht mehr fliehen. Wütend sprang er den Herzogssohn an. Gunther drang mit seinem Jagdspieß auf ihn ein. Mit aller Gewalt stieß er zu, jedoch der Spieß brach entzwei. Jetzt ging es auf Leben und Tod. Gunther sprang vom Pferd und stürzte sich auf den verwundeten Eber. Der wehrte sich verzweifelt und schlug in seiner Todesangst mit hundertfacher Kraft um sich. So rangen die beiden, aus vielen Wunden blutend. Gunther war von den Hauern des wilden Tieres schwer verletzt worden. Er ließ aber den Würgegriff nicht locker, und so verendete der riesige Eber.
Durch den argen Blutverlust war aber allmählich auch von Gunther alle Kraft gewichen. Hilflos lag er neben seiner Beute und mußte verbluten. Erst nach Stunden fanden die Gefährten, die einer falschen Spur gefolgt waren, seine Leiche.
Als Herzog Tassilo an der Bahre seines Sohnes Totenwache hielt, erschien ihm plötzlich ein Hirsch, dessen Geweih in einem seltsamen Licht erstrahlte. Mit hocherhobenem Haupt schritt der Hirsch durch den Wald. Der Herzog wußte nicht, wie ihm geschah, er mußte dem Tier folgen. Auf einmal blieb der weiße Hirsch stehen, wandte sich um und blickte den Herzog lange an. Dann verschwand er so plötzlich, wie er gekommen war.
Herzog Tassilo hielt diese seltsame Erscheinung für ein Zeichen Gottes. In der Nähe der Unglücksstätte ließ er das Stift Kremsmünster errichten.
Quelle: Heimatkundliches Lesebuch, Bezirk Kirchdorf an der Krems
Herausgegeben von einer Arbeitsgemeinschaft des Pädagogischen Institutes des Bundes für Oberösterreich, Verlag Quirin Haslinger, Linz
ISBN keine
© digitale Bearbeitung Norbert Steinwendner, St. Valentin, NÖ.
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